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Zadar ist voller Energie: Die Küstenstadt an der Adria pflegt einen überaus kreativen Umgang mit ihrer turbulenten Geschichte. Eine Tour d’Horizon mit bittersüsser Note

Steckt die Müllabfuhr fest? Die grüne Führerkabine ragt wie ein Drachenkopf aus dem Stadttor, minutenlang reglos. Nur die Scheibenwischer bewegen sich hin und her. Die Passanten halten den Atem an: Keine Hand passt mehr zwischen den modernen Hochleistungslaster und das historische Gemäuer, auf dem ein geflügelter Löwe sitzt. Dann heult der Motor kurz auf, und in Zeitlupe schiebt sich der Lastwagen aus der Stadtmauer, die das Herz von Zadar umschliesst.

Das Wetter an diesem Tag ist garstig. Vom nahen Gebirge fegt ein eisiger Wind durch die Altstadt, die auf eine Landzunge gebaut ist. Zahlreiche Inseln und Riffe sind ihr vorgelagert, das macht Zadar seit je zu einem idealen Zufluchtsort und einem begehrten Hafen. Ein Dutzend Handwechsel hat die Stadt in ihrer dreitausendjährigen Geschichte erlebt, vier allein in den letzten hundert Jahren: Nach dem Zusammenbruch der k. u. k. Monarchie kam sie erst zu Italien, dann zu Nazideutschland und von Titos Jugoslawien schliesslich leidensvoll zu Kroatien.

Bekriegt, belagert, zerbombt – die Altstadt gleicht einem Meisterwerk, das unzählige Male zerschlagen und wieder zusammengeflickt worden ist. Die fehlenden Teile ersetzte man dabei mit Neuem. Das römische Kapitol ist ein Ruinenfeld direkt am Meer, aus dem sich eine intakte Säule wie ein Mahnmal erhebt. Sie wurde im Mittelalter als Schandpfahl genutzt.

Geplündert und umgenutzt

«Zadar ist voller Narben, aber auch voller Energie. Es ist ein Mikrokosmos der kroatischen Geschichte», sagt Šime Botica, ein vierzigjähriger Hüne mit Dreitagebart und gestreiftem Strickpullover, der Fusstouren durch die Stadt anbietet. «Wer sich hier einmal im Kreis dreht, hat schon einen Rundgang durch die europäische Kunstgeschichte gemacht», verkündet er auf dem Narodni trg, dem Platz des Volkes. Die Stadtwache aus der Renaissance, von den Habsburgern mit einem barocken Glockenturm in Rosa gekrönt, dominiert die Westseite. Daran lehnt sich das Café Lovre an, das die frühromanische Laurentiuskirche in ihrem Bauch versteckt. Die Sockel und Kapitelle der Säulen, von römischen Ruinen geplündert, passen nicht wirklich zusammen. Ein antiker Meilenstein findet sich in dem Gewölbe gar kopfüber als tragendes Eckelement wieder. «Ein gelungenes Miteinander», nennt es unser Guide: Der Café-Betreiber zahlt der öffentlichen Hand relativ wenig Miete für den historischen Bau, ist jedoch verantwortlich für den Unterhalt.

Ein anderes Beispiel für eine Umnutzung findet sich gleich gegenüber: Die Stadtloggia aus dem Jahr 1565, einst Bühne für öffentliche Proklamationen und Prozesse, dient heute als Galerie. Das neue Rathaus daneben wurde von den italienischen Faschisten hingeklotzt, nur ein paar Schritte von einem eleganten Palast mit gotischem Balkon entfernt.

Schliesslich deutet Šime mit dem Regenschirm auf den Kandelaber in der Mitte des Platzes: «An Silvester 1894 erstrahlte hier die erste elektrische Strassenbeleuchtung Kroatiens.» Die Lokalzeitung «Narodni list» berichtete: «Schlag acht Uhr blitzte ein elektrischer Ball mit der Intensität von tausend Kerzen auf. Der silberne Schein erhellte den ganzen Platz wie bei Tageslicht. Die Blaskapelle spielte einen Marsch, und die versammelte Menge bejubelte den zivilisatorischen Fortschritt.»

Von Zwangsneurosen getrieben

Die elektrische Revolution – sie war dem Genie von Nikola Tesla (1856 bis 1943) geschuldet. Der keine hundert Kilometer von Zadar aufgewachsene Sohn serbischer Eltern, der in die USA emigrierte und für bekannte Namen wie Edison und Westinghouse forschte, ermöglichte mit der Entwicklung des Wechselstroms erst den verlustarmen Stromtransfer über weite Strecken. Der von Zwangsneurosen Getriebene erlangte auf der Suche nach Wegen, die Naturkräfte für den Menschen nutzbar zu machen, mehr als 700 Patente. Einige seiner Entdeckungen waren so bahnbrechend, dass die amerikanische Regierung die Forschungspapiere noch immer unter Verschluss hält. Tesla gewann den Wettlauf der Erfinder um die Energie – und kämpfte doch zeit seines Lebens gegen den Bankrott.

Es ist gut vorstellbar, dass Nikola Tesla den Ärger über sein ungerechtes Schicksal hin und wieder hinunterspülte – vielleicht gar mit dem Kirschlikör, für den Zadar weltberühmt ist: Maraschino. Schon Queen Victoria liess die kroatische Delikatesse von Kriegsschiffen in Zadar abholen, und Al Capone schmuggelte sie zur Zeit der Prohibition nach Chicago.

Der süsse Likör mit der bitteren Note wird hergestellt aus den sauren Früchten, Steinen und wahrscheinlich auch Zweigen des Maraska-Kirschbaums, Prunus cerasus, der auf dem steinigen Boden um Zadar heimisch ist. Die genaue Rezeptur, im örtlichen Dominikanerkloster im 16. Jahrhundert als Hustenmedizin ersonnen, ist ein Betriebsgeheimnis, wie Tomislav Piasevoli, der Produktionschef der Firma Maraska, erklärt. Nur so viel verrät er: Die kleinen Kirschen werden zunächst in Alkohol eingelegt, zweimal destilliert, und das Resultat wird abschliessend filtriert.

Die typische Flasche, schmal und von einem Bastgeflecht umhüllt, machte den Maraschino schon vor 200 Jahren leichter transportierbar. Nicht zuletzt durch sie wurde der Likör zu einem internationalen Verkaufsschlager. Aber die Zeiten und der Geschmack, so räumt Tomislav ein, hätten sich geändert. Kaum jemand – ausser in Zadar oder unter Exilkroaten – trinkt den Maraschino noch pur. Heute ist der Pelinkovac, ein Wermut, das gefragteste Produkt der Firma.

Hemingways Lieblingsdrink

Der Maraschino spielt nicht mehr die Hauptrolle – und trotzdem sollte man ihn nicht mit einem müden Lächeln abtun. Berufsköche wissen, ein Schuss davon veredelt jeden Fruchtsalat. Und der Likör aus Zadar glänzt in der Nebenrolle auch bei Cocktails: Man schüttle 4 Esslöffel Rum, 3 Esslöffel Grapefruitsaft, je 1 Esslöffel Maraschino und Limettensaft mit etwas Eis, fertig ist der Hemingway Special. Ohne Grapefruitsaft ist es der Papa Doble, den der amerikanische Autor in den dreissiger Jahren auf Kuba in rauen Mengen zu trinken pflegte.

Heute zeigt sich in erster Linie auf der Insel Pag, was für Genüsse sich der kargen Landschaft um Zadar abringen lassen. Dort, rund 60 Kilometer nordwestlich der Stadt, betreibt die Familie Gligora eine international mit Preisen überhäufte Käserei. Die steinweisse, windgepeitschte Insel erinnert über weite Strecken an eine Mondlandschaft. Kaum zu glauben, dass hier in einer Bucht der Partystrand Zrce liegt, auch Ibiza von Kroatien genannt, wo im Sommer rund um die Uhr Rambazamba herrscht.

Die unwirtliche Insel, die etwa so gross ist wie der Kanton Genf, zählt rund 10 000 Einwohner und dreimal so viele Schafe. Zwischen dem Kalkgestein klauben die Tiere Salbei und Rosmarin, Strohblumen und wilden Spargel zusammen. Allein, an Fett und Wolle legen sie kaum zu, und Milch geben sie auch nur 2,2 Liter pro Tag, dreimal weniger als ihre Artgenossen auf dem kroatischen Festland. Gemolken werden die Schafe lediglich zwischen Januar und Juli, danach ist es zu heiss.

Der König der Käse

Aus dieser lokalen und limitierten Schafsmilch wird der Paški sir hergestellt, der König der kroatischen Käse. Die nur gut 1,5 Kilogramm schweren Laibe werden mit Pager Meersalz und Olivenöl eingerieben und ein Jahr lang gelagert. Das Resultat ist ein aromatischer Hartkäse mit zart schmelzendem Abgang.

Dieses Feuerwerk an Eindrücken lässt man am besten sanft ausklingen. Dafür gibt es in Zadar kaum einen besseren Ort als die Uferpromenade, wenn die Sonne zwischen den Inseln versinkt und die Wellen dazu seufzen: Die Meeresorgel, eine Kunstinstallation des Architekten Nikola Bašić, gibt hier nämlich Töne von sich, die aus der Tiefe des Ozeans zu kommen scheinen. Der Eindruck ist nicht ganz falsch: 35 Pfeifen, die in sieben Stufen am Ufer eingelassen sind, geben den Schlag der Wellen, das Lied von Wind und Wetter wieder.
 
(nzz.ch/3.1.2020)